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Chantier des collections - Ein Praktikum im Musée d'Orbe

Im Frühling 2022 begann ich mein 2-monatiges Praktikum im Musée d’Orbe, einem kleinen Regionalmuseum im französischsprachigen Kanton Waadt in der Schweiz. Das Museum, welches seit 1878 besteht, ist seit 2006 nur noch auf Anfrage für die Öffentlichkeit zugänglich. Um die Sammlung des Museums aufzuwerten und mehr Besucher anzuziehen, wurde 2020 beschlossen, das Museumsgebäude vollständig zu sanieren. Hierfür mussten nun die über 2000 Objekte, die teilweise ausgestellt, teilweise im Keller oder im Dachboden gelagert waren, aufgenommen, sicher verstaut und außerhalb des Museums gelagert werden.

Um die Bestandsaufnahme und Verstauung der Objekte (im Französischen gibt es dafür den Ausdruck chantier des collections, was übersetzt „Sammlungsbaustelle“ bedeutet) zu leiten, wurde Claire Brizon angestellt. Frau Dr. Brizon war zwölf Jahre lang im Musée des Confluences in Lyon tätig und ist heute am Musée Cantonal d’Archéologie et d’Histoire in Lausanne für die Erforschung der ethnologischen Sammlung zuständig. Zudem ist sie Vize-Präsidentin des Schweizer Arbeitskreises für Provenienzforschung.

Vor Praktikumsbeginn fand eine zweitägige Grundausbildung für mich und die zwei anderen PraktikantInnen statt, in der wir in die bevorstehenden Arbeiten eingeführt wurden. Am ersten Tag stellte uns Yves Dubois, der Museumsleiter, das Museum und die Sammlung vor. Nachmittags folgte eine Einführung in die Grundlagen eines chantier des collections. Am zweiten Tag bekamen wir eine Einführung in präventive Konservierung und Objekthandling von David Cuendet, dem Chefkonservator und -restaurator des Musée Cantonal d’Archéologie et d’Histoire und Gastdozent an der Haute École de Conservation et Restauration in Neuchâtel.        

Die zentrale Aufgabe des chantier war es, innerhalb von drei Monaten alle Objekte der Sammlung im digitalen Inventar erfasst, beschriftet, fotografiert und verpackt zu haben. Claire Brizon schätzte ein, dass sich um die 2500 Objekte im Museum befanden, also 1000 mehr, als im Inventar bisher erfasst waren. Bei der Inventarisierung musste das in den 1990er Jahren begonnene digitale Inventar überprüft und ergänzt werden. Wichtig bei der Inventarisierung waren eine ausführliche Beschreibung, die Maße, der Zustand und der künftige Zwischenlagerungsort des Objekts. Für die Beschriftung mussten die Objekte, die im Dachboden oder im Keller gelagert wurden, zuerst gründlich entstaubt werden. Die Beschriftung der Objekte erfolgte je nach Material unterschiedlich: Holzobjekte mit Bleistift; Metall, Glas, Keramik und Stein mit Tusche zwischen zwei Schichten Paraloid. An Stoffe oder Objekte aus Leder wurde ein Stück säurefreies Papier mit der Inventarnummer befestigt. Nach der Beschriftung wurden die Objekte mit der Inventarnummer und einem Maßstab fotografiert und transportsicher in insgesamt 110 Kisten verpackt. Zusätzlich zu den Arbeiten an den Objekten wurden auch sammlungsbezogene Arbeiten durchgeführt. Hierzu zählten vor allem Recherchen zu den Spendern gewisser Objekte (Informationen dazu fanden wir im sogenannten Livre des Donateurs, dem Spenderbuch) und die Transkription des archäologischen Inventars, um die archäologischen Objekte, welche über die Jahre bei anderen Museen ausgeliehen wurden, zurückgeben zu können.

Mein Praktikum in Orbe haben zwei Situationen besonders geprägt. Einerseits fanden wir auf dem Dachboden mehrere Bomben, die von der Blindgängerzentrale der Schweizer Armee aus dem Museum transportiert werden mussten. Einige dieser Bomben konnten entschärft und dem Museum zurückgegeben werden, andere mussten zerstört werden, da das Militär sie nicht entschärfen konnte. Andererseits fanden wir in einer mit dem Wort “Schädel” beschrifteten Holzkiste neben diversen menschlichen und tierischen Schädeln auch mumifizierte Körperteile: einen Fuß, eine Hand und einige Finger. Wir stellten fest, dass diese Körperteile zu einem mumifizierten Kopf gehörten, der in einer mit Zeitung gepolsterten Kartonschachtel auf dem Dachboden aufbewahrt wurde. Gemäß den Angaben im Spenderbuch stammen die mumifizierten Körperteile  aus Ägypten. Sie wurden dem Musée Cantonal d’Archéologie et d’Histoire übergeben, welches die zuständigen Behörden kontaktiert hat.                       

Funde wie die Sprengkörper oder die Mumienteile haben mir gezeigt, dass auch kleine Museen viele Überraschungen liefern können und dass man auf alles gefasst sein muss. Der Umgang mit solchen Objekten ist nicht immer einfach, daher muss der Kontakt zu Fachstellen geknüpft werden. Allgemein habe ich während meines Praktikums im Musée d’Orbe viele gute Erfahrungen gemacht und im Bereich des Objekthandling und der Sammlungsorganisation unglaublich viel dazu gelernt.

Anna Haesen, Mai 2022

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    Blick ins Depot im Musée d'Orbe
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    Knochen
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    Anna Haesen